E9N - ENSEMBLE 9. NOVEMBER



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EUROPA METAMORPHOSEN

Wir, das Ensemble 9. November, laden Sie und Ihre Freunde herzlichst ein, das europäische Metamorphosenkörnchen zu suchen, die Welt zu schöpfen, mitzuziehen mit dem Welttheater, über Meere zu segeln, Penelope auf der Suche nach Odysseus zu begegnen, empört in Ihrem Segelbett, Orpheus und Eurydice im bezaubernden Wald anzutreffen, abzustürzen mit Ikarus, Eselsohren zu tragen mit Midas, Prometheus promesse du bonheur, werden Sie kein Frosch!

Ziehen Sie weiter mit uns durch das chinesische Haus der vier Jahreszeiten, vorbei an den Malereibändern der Route der Industrie- und Landschaftskultur Rhain Main, erleben Sie Sonnen und Schatten der Liebe, Hochzeiten aller Welt vereinigt euch! Auf zur französischen Revolution, zu Freiheit, Tod und Verderben. "Le Coq est mort", der Hahn ist tot, auch der König.

Der Krieg geht an die Börse, dick, fett und dumm. Wittgenstein über die Gnade der Arbeit in großem Krieg vor Krakau. Fließbandgefühle. Durch Neid und Gerücht auf dem Bettelbriefweg armer Dichter und Künstler ans letzte Ziel, zum feisten Barock

PRESSESTIMMEN


Ein Museum steht kopf
Sind Christo und seine Frau Jean-Claude hier gewesen? Nein, es waren Fiebig und Körte, die am Sonntag morgen den Park vor dem Museum für Angewandte Kunst Frankfurt in einen Traum in Weiß verwandelt haben. Der Künstler Wilfried Fiebig und die Theatermacherin Helen Körte. Vier Stunden lang piksten Hunderte weißer Spitzhütchen den blauen Himmel, darüber schwebten, getragen von der Musik eines Quintetts mit vier Sängern, vielflügelige Schmetterlinge, rote, gelbe, grüne. Wer sich für sie und ihre Metamorphosen entschied, hatte gut gewählt an diesem Wahltag.

"Europa Metamorphosen" hat Fiebig sein Projekt genannt, der Untertitel lautet: "ein Kunstfest". Er hätte auch Verwandlungsfest darüberschreiben können, denn unter seinem freundlichen Kunstregime, dem sich Studenten der Akademie für Bildende Künste der Gutenberg-Universität Mainz und weitere Mitwirkende unterworfen haben, verwandelte sich nicht nur der Park, sondern das ganze wohlgeordnete Museum. So wie Fiebig hat wohl noch niemand dieses Haus der schönen Kunsthandwerk-Objekte zum Tanzen gebracht: oben, unten, hinten, vorne, wo man hinschaute und -hörte, überall lebende Kunstwerke und lebendige Kunstklänge.

Richard Wagner würde wohl protestieren, aber dennoch wollen wir entschieden von einem Gesamtkunstwerk sprechen. Bildende Kunst, Instrumental- und Vokalmusik, Sprechtheater, Tanz: Fiebig und seine Partnerin Körte verbinden, mixen all diese Künste zu einem künstlerischen Cocktail, den man selten in Frankfurt serviert bekommt. Das eine entwickelt sich aus dem anderen, zuerst kriechen zwei rote Raupen durch den Park und gebären Schmetterlinge, die zu Schiffen werden, dann zu Eseln mutieren, zu Orgelpfeifen, Fischen, Medusenhäuptern. Die Phantasie des Künstlers Fiebig ist unerschöpflich, bietet man ihr Entfaltungsmöglichkeiten, füllt er ohne Mühe vier Stunden, und wenn die Sponsoren ihm noch mehr Mittel an die Hand gegeben hätten, wären daraus gewiß vierzehn Stunden geworden.

Der Urgrund Europas liegt bekanntlich in der Antike, die griechische Sagenwelt birgt fast schon alle Geschichten, die uns mit unserer Menschen-Gattung, ihren Marotten und Tragödien bekannt machen. Fiebig hat aus dieser Quelle reichlich geschöpft: Orpheus, Midas, Penelope, Medea, Ikaros, Achill. Von Raum zu Raum ziehen die acht Schauspieler des "Ensemble 9. November", in immer neue Rollen schlüpfend und zu einem anderen Takt tanzend. Vom Peloponnes und Kleinasien der Alten hüpfen sie auf die Straßen des revolutionären Paris und lassen den Kopf des Königs rollen. Natürlich endet alles schrecklich, nämlich in der Maschinenarbeit und an der Börse. Die schwankenden Werte von Volkswagen, Siemens und Deutscher Bank vor Augen, denken wir: Immerhin eine sichere Anlage gibt es, die Kunst nämlich, die seit ewigen Zeiten Erträge bringt, mal große, mal geringe. Bei Fiebig hat sich die Investition dieses Mal gelohnt.


HANS RIEBSAMEN, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.09.2005, Nr. 219, S. 57




Der Mensch verwandelt sich in Geschichte
Das "Ensemble 9. November" bot im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst eine "Europa-Metamorphose". Was Wilfried Fiebig (Gesamtleitung) und Helen Körte (Schauspielregie) anpacken, ist formal seit längerem Gesamtkunstwerk. Inhaltlich wäre gar von "Gesamtkulturwerk" zu sprechen, denn bei der Arbeit steckt das Prinzip fortgesetzter Verwandlung des Menschen in Natur und Geschichte im Gebein. Von Projekt zu Projekt harrt es des Anstoßes, auf dass aus der unansehnlichen Ideen-Larve die fabulierend barocke Theaterpracht schlüpfe und, in Kostüm, Kunstobjekten, Musikauswahl vermischt mit konstruktiver Eleganz, ins Freie flattert. Von gleicher Weite ist nun die im Titel angesprochene "Metamorphose", die draußen vor der Tür des Museums zu festlicher Musik der Marke Neoklassik mit klassischen Gesangsstimmen als "Garten im Garten" anhebt. Aberhunderte gedrehte Zylinder aus weißem Lackpapier gestalten eine sakral anmutende Kunstlandschaft, die vage an die Schwebenden Gärten der Semiramis erinnert. Wenn durch den langen Stoffschlauch in der Mitte zwei Gestalten kriechen, hat dies etwas von Geburt in beiderlei Richtung und sieht zudem verdammt schick aus. Ist mehr "Verstehen" vonnöten? In der Metamorphose steckt Ovid, ein Ur-Europäer unserer Literaturen, auf den später in allen Museumsstockwerken Szenen aus Fiebigs Zitatenwust anspielen: Daphne, Galatea, Pan. Aber auch der Pantheist Goethe, dem alles Wandel war; so mögen Fiebig/Körte Geschichte und Mythen sehen. Die Stationen - Dädalus, Guillotine, Industrielandschaft, die Frösche (Aristophanes? Wieland?) - reißen sie in der jüngsten Fortsetzung ihres maßlosen "work in progress" an. Wieso es ihnen wieder so beseligend glückt? Es liegt wohl an der Feinabstimmung, dem Spiel mit dem Raum, dem Verhältnis zwischen Selbstwiederholung und Abwandlung. Die acht Darsteller (darunter Armin Drogat, Raija Siikavirta, Fernando Fernandez) in ihren je einfarbigen Kostümen bilden chromatisch ein Prisma des weißen Lichts - und glänzen auch als Schauspieler.

MARCUS HLADEK, FNP, 6.September 2005



Strapazierter Engel
Das Ensemble 9. November eröffnet seine "Europa Metamorphosen" vor dem Museum für Angewandte Kunst
Zuerst schienen sie aus einer fantasierten Unterwelt zu kommen, so wie die bösen Buben in Clockwork Orange. Der Eindruck war aber unhaltbar. Bald sah man in ihnen strapazierte Engel mit Headsets. Offenbar hatten sie ihre Göttlichkeit verloren, wie einen beliebigen Gegenstand. Derart verarmt, durchstreiften sie Felder aus kegelförmigen Artefakten. Man konnte sie ansehen wie chinesische Hüte und manchmal auch wie Minen. Tatsächlich betrachtete man eine Installation aus lauter Faltungen.

Das Orchester als Kraftwerk.
Als "Garten über dem Garten" des Museums für Angewandte Kunst Frankfurt bot sie den Schauplatz der Eröffnung eines Kunstfestes mit dem Titel "Europa Metamorphosen", zu dem das Ensemble 9. November einlädt. Die Faltungen werden das nächste Mal am 10. September in der Mainzer Universität inszeniert. Dort entstanden sie als studentisches Projekt unter der Leitung von Elfi Knoche-Wendel. Die Gesamtleitung des "Gesamtkunstwerks" obliegt Wilfried Fiebig, die Schauspielregie Helen Körte, die Choreografie Thomas Langkau und die musikalische Leitung Bastian Fiebig. Das musikalische Element stellte sich rasch als Herzstück des Ganzen heraus. Das Orchester wirkte wie ein Kraftwerk. Hier fand die Konzentration immer ein positives Ziel, während das Museum für eine stundenlange Aufführung zur Bühne wurde. In einem spielfreien Augenblick behauptete Hausherr Ulrich Schneider: "Fiebig ist kein Name, sondern ein Gefühlszustand". Kulturdezernent Hans-Bernhard Nordhoff kam in seiner Charakterisierung des Hegelianers als Künstler auf Schiller. Er zitierte aus einem Brief an Goethe: "Man muss sich durch keinen allgemeinen Begriff fesseln." Nordhoff stellte einen originellen Zusammenhang zwischen dem Ort des Geschehens und dem Publikum her: "Sie werden hier angewandt auf die Kunst." Fiebig schließlich meinte: "Ich sterbe unter diesem Namen dauernd weg, wie alle". Er nahm das womöglich von Ratlosigkeit gesteuerte Erstaunen seiner Gäste vorweg, mit diebischer Freude. Dieser in der Kunst fündig gewordene Doktor der Philosophie ist ein Mephisto in unseren Tagen. Ihm kommt es darauf an, aus seiner Warte eine Welt zu fabrizieren. So stellt er die Verhältnisse von den Füßen auf den Kopf. Den Museumsraum nahm er ein wie bei einer Hausbesetzung.

Schutzhelm mit Hasenohren
Das vor Ort siebenköpfige Ensemble 9. November führte eine Prozession an. Mancher nutzte die Gelegenheit, Kreuzbeschläge aus dem 13. Jahrhundert oder einen Kabinetttisch, der Korpus aus Tanne, (auf engl. cabinet closet), seelenruhig in Augenschein zu nehmen. Die Schauspieler agierten auf alle möglichen Weisen. Sie zeigten sich unter Schutzhelmen mit aufmontierten Bunny-Ohren, die, aber Midas' Eselsohren symbolisieren sollten. Szenen hießen "Der Tod ist eine Trommel" und "Orpheus und Eurydice unter Bäumen". Skulpturen aus Holz standen am Wegesrand, um als Flügel an den Leibern der Darsteller illustrierend zu wirken. Ein transparenter Terminal wurde zergliedert und wieder rekonstruiert. Das war das chinesische Haus. Es ließ sich auch wie ein Insekt auffassen. Bettelbriefe, so von Jean Paul, lagen in Kartons, die als Requisiten zum Einsatz kamen. Endlich wurde die Revolution in ihrer eigenen Sprache ausgerufen, also auf Französisch. Das Fest nahm seinen Verlauf als artistischer Kraftakt. Dem Furor kam das Publikum mit solider Anteilnahme entgegen.

JAMAL TUSCHICK, FR, 6.September 2005



Papierhütchen aus Designers Hand
Das "Ensemble 9. November" hat mit Kunststudenten gemeinsam das Gesamtkunstwerk "Europa-Metamorphosen" gestaltet

Es ist nicht zu leugnen, die Darbietung hat etwas Erotisches: Schlängelnd und zuckend bewegen sich zwei Frauen durch einen engen roten Stoffschlauch aufeinander zu. Mit durchgebogenem Rücken und ausgestreckten Armen und Beinen dehnen sie den Stoff zu Formen aus, treffen in der Mitte der engen Stoffröhre zusammen und scheinen dort für eine kurze Weile zu einem einzigen, sich windenden. Körper zu verschmelzen. Dann trennen sie sich wieder, schälen sich aus dem purpurroten Schlauch heraus und schreiten schließlich - den Stoff hinter sich herziehend - wie zwei Königinnen aus dem Bühnenbild. Klatschen und begeisterte Rufe: Die Performance der beiden Kunststudentinnen aus der Akademie für Bildende Künste Mainz hat soeben das Stück "Europa-Metamorphosen - ein Kunstfest" im Park des Frankfurter Museums für Angewandte Kunst eröffnet, die erste von insgesamt sechs Aufführungen. Wer dem bunten Treiben der Theatergruppe "Ensemble 9. November" bis zum Schluß zusehen möchte, braucht Durchhaltevermögen: Vier Stunden lang wird im Park und in allen drei Stockwerken des Museums zu Themen der europäischen Kulturgeschichte gesungen, getanzt und rezitiert - eine Bühne oder feste Sitzplätze gibt es nicht.

"Prozessions-Inszenierung" nennt das Wilfried Fiebig, der die Theatergruppe zusammen mit Helen Körte leitet, aber ganz so euphorisch wie der quirlige Künstler-Philosoph scheinen sich nicht alle Zuschauer in diese Form des Theaters stürzen zu wollen, die ihnen viel Einsatz abverlangt: Nach der ersten Pause ist die Hälfte gegangen. Vielleicht, weil sie zwischen den vielen Zuschauern, die in den verwinkelten Räumen des Museums stehen, zu wenig von der Vorführung gesehen haben. Denn unterhaltsam und interessant ist "Europa-Metamorphosen" allemal. Mythen aus Ovids "Metamorphosen" werden kombiniert mit modernen Tanzeinlagen, "Haikus" - vierzeilige Naturgedichte aus Japan - folgen auf Froschgequake, sogar die Zuschauer werden einbezogen und so gemeinsam mit den Schauspielern und der Kulisse zu einem Teil des "Gesamtkunstwerks". Denn als einfaches Theaterstück möchte Fiebig sein Stück nicht .bezeichnet wissen. "Wir verbinden alle Künste", sagt er und erklärt, Ziel seines Kulturprojekts sei gewesen, die "Europaregion Rhein- Main" in einen ästhetischen Zusammenhang zu stellen.

An der Gestaltung des Bühnenbilds waren Studenten der Kunsthochschulen in Offenbach und Mainz beteiligt. "Ich brauche diese Leute", sagt Fiebig, selbst seit 25 Jahren Lehrbeauftragter an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. "Das, was die hier geleistet haben, ist keine Studentenarbeit - das sind erwachsene Leistungen."; Besonders angetan hat es ihm das Kunstwerk der Chinesin Rui Zhong. Die 25 Jahre alte Studentin ist erst seit drei Jahren .an der Offenbacher Hochschule und hat das "Chinesische Haus der Vier Jahreszeiten" als Teil ihrer Diplomarbeit entwickelt- aufgebaut wurde die Konstruktion aus Stahl und durchscheinender Folie schließlich von zwei anderen Offenbacher Design-Studenten, Thorsten Müller und Tobias Weiland. So geräumig, daß vier Schauspielerinnen in einer Szene darin Platz finden, und gleichzeitig zart, fast zerbrechlich: "Das Haus ist nicht benotbar", schwärmt Fiebig von der Abschlußarbeit, "mit dem Ding hat sie unendlich viel mehr als nur eine Note." Inspiriert haben die zierliche Produktdesignerin Aufnahmen  eines japanischen Fotografen: "Ich habe einfach versucht, die Formen nachzumachen," Herausgekommen ist eine an vier Seiten aufklappbare Konstruktion, in der jede Jahreszeit symbolisch erscheint. Wenn Fiebig sie als Künstlerin bezeichnet, wehrt Designerin Rui Zhong lachend ab. "Ich hab' mit Kunst nichts zu tun!" .

An der Kulisse mitgewirkt haben auch die beiden Performance-Künstlerinnen aus Mainz: Clara Wicke und Ines Dünemann sind Studentinnen der Klasse "Papier/Textil" und haben gemeinsam mit neun anderen Studentinnen und ihrer Professorin Elfi Knoche-Wendel die Papierinstallation "Garten über dem Garten" entworfen. 1200 kegelartige Hütchen in verschiedenen Größen und bis zu 1,70 Meter hohe Papierfaltungen haben die Studentinnen innerhalb von drei Wochen fertiggestellt: "Das war wirklich Fließbandarbeit", stöhnt Clara Wicke, wenn sie sich an das eintönige Falten und Nieten erinnert. Aber während der Vorbereitung sei sie sehr gespannt gewesen: Keiner konnte wissen, wie das Kunstwerk am Ende aussehen würde. "Es repräsentiert einen minimalistischen japanischen Zen-Garten", sagt dazu Knoche-Wendel. Das passe zur Strenge der Frankfurter Museumsarchitektur. "Aus einer Rolle zweidimensionalem Papier haben wir ein dreidimensionales bildhauerisches Werk geschaffen - das ist unsere Metamorphose."

ALINA ENZENSBERGER, FAZ, 6.September 2005